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Pressebericht

Fessenheim

Stuttgarter Zeitung vom 06.03.2007

Was aus der "Allee der Kernkraftwerke" geworden ist
Auch nach 30 Jahren ist Atomkraft in Fessenheim noch strittig - Einige Atomkraftgegner der Anfangsphase geben bis heute nicht auf

30 Jahre ist es her, dass in Fessenheim im Elsass ein Atomkraftwerk ans Netz gegangen ist - anders als andere Projekte, die nie realisiert worden sind. Schon die Planung war umstritten, die Anlage ist es nicht minder. Ein Rückblick.

Von Bärbel Nückles

Bis zum Jahr 2000 wollten Fachleute nukleare Abfälle ins Weltall schießen können. Zumindest bekam das eine Besuchergruppe 1975 bei einem Rundgang auf der Baustelle des Kernkraftwerks im elsässischen Fessenheim zu hören. Der deutsch-französische Damenclub aus Breisach am Rhein ging "durch die gewaltigen Anlagen", die einmal "gewaltige Strommengen erzeugen" würden.
Damals deckte Frankreich gerade einmal sechs Prozent seines Energiebedarfs mit nuklearem Strom. In Fessenheim bauten die Franzosen ihren ersten Druckwasserreaktor. Heute, 30 Jahre, nachdem die Kernspaltung in Block 1 in Fessenheim gestartet wurde, ist es das älteste, noch produzierende Atomkraftwerk des Landes. Fessenheim war der Auftakt einer Politik, die Frankreich mit einem Netz von Druckwasserreaktoren überzog. Bis 1985 sollten sie das Land mit der Hälfte seines Strombedarfs versorgen. Heute liegt die Quote bei 80 Prozent.
Die Beschwichtigungsrhetorik gegenüber der Besuchergruppe damals mutet nicht weniger beunruhigend an als das Verhalten deutscher Politiker, die den Ängsten der Bevölkerung ihrerseits mit Worthülsen begegneten. Bei einer Fragestunde im Bundestag im Dezember 1971 versicherte der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP), es würden weder in Breisach noch in Fessenheim Kernkraftwerke genehmigt, bevor nicht Erkenntnisse über ihre Auswirkungen auf Klima und Ökologie vorlägen.
Von Beginn an hatte das damalige Badenwerk, und damit das Land Baden-Württemberg als Badenwerk-Aktionär, an den Bau- und Betriebskosten des AKW Fessenheim sowie an dessen Produktion Anteil. Die atomkritische Szene sprach mit bitterem Ton vom Oberrheingebiet als der "Allee der Kernkraftwerke". Gambsheim, Breisach, Wyhl wurden freilich nie gebaut. Pläne für einen Nuklearpark bei Fessenheim blieben zunächst ein Gerücht. Die Haltung der Offiziellen erboste einige Unbekannte so sehr, dass sie 1979, als das AKW im Elsass längst produzierte, den geheimen Notfallplan aus dem Landratsamt Lörrach entwendeten, kopierten, zurück- und dann an die Öffentlichkeit brachten.
Zu jenen, die nicht an den Segen der Atomenergie glaubten, gehörte der Straßburger Atomphysiker Jean-Marie Brom. Ganze Nachmittage erklärte der Student Brom Hausfrauen in Fessenheim, was da auf sie zukam. "Die meisten wollten das Kernkraftwerk vor allem nicht vor ihrer Haustür", erinnert er sich. Aber dass selbst renommierte Wissenschaftler behaupteten, der Reaktor gebe keine Radioaktivität ab, macht ihn noch heute rasend. Petitionen und Forderungen von damals und heute, ob von Landespolitikern oder streitbaren Atomkritikern, gleichen sich mitunter bis in den Wortlaut. Gebetsmühlenartig forderten sie die Stilllegung und Sicherheitskontrollen, sie warnten und warnen vor der Gefahr durch Erdbeben und Terrorangriffe. Das Atomkraftwerk in Fessenheim überstand Großdemonstrationen und Hungerstreiks. Selbst ein Bombenanschlag in der Bauphase konnte den Bauplänen nichts entgegensetzen.
Das war, bevor die beiden Reaktoren am Rhein ans Netz gingen und sich die Anlässe zur Sorge Jahr um Jahr häuften. Die Kette beunruhigender Nachrichten setzte früh ein und riss nie ab. Nach einer Turbinenpanne stand Block 1 gleich im Sommer 1977 vier Wochen still. Im Herbst 1979 machte ein persischer Ingenieur und Sicherheitsspezialist sein Wissen über Haarrisse an der Innenseite des Reaktor-Druckbehälters öffentlich. "Kontinuierlich beschießt der Neutronenstrom die Stahlwand und macht sie spröde", sagt Jean-Marie Brom. "Keiner weiß, wann der kritische Punkt erreicht sein wird, denn nach 30 Jahren bewegen wir uns im Ungewissen." Mit den Jahren hätten besonders jene Störfälle zugenommen, sagt er, in denen menschliches Versagen eine Rolle spiele.
Weder Jean-Marie Brom noch Axel Mayer, Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Südbaden, haben sich in 30 Jahren entmutigen lassen. "Wenn sie in einem Radius von 300 Kilometer um das Kernkraftwerk in Fessenheim wohnen und es kommt zu einer Katastrophe, die morgen schon eintreten kann, dann werden sie ihre Heimat schnell und endgültig verlassen müssen und froh sein, einfach nur zu überleben", beschreibt Mayer das Szenario, von dem er hofft, das es nie eintreten wird.

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